|
|
|
28.10.2004
von Carlos
Widmann
Bildhauerische
Devotionalie in China, bunte Pop-Ikone im Westen: Niemand
nimmt Anstoß am immer bizarrer werdenden Mao-Kult. Dabei war
der kommunistische Vorsitzende der größte Massenmörder des 20.
Jahrhunderts – und ein Sexbesessener
obendrein.
Der Lange Marsch des Bildhauers Wang
Wenhai ist längst nicht zu Ende; die Kunst, der er sein Leben
geweiht hat, findet im volkreichsten Land der Erde reißenden
Absatz. Wie alle vorherigen, wird auch Wangs nächste Statue
eine Einzelperson männlichen Geschlechts darstellen: in Yenan,
wo die Rote Armee vor 68 Jahren ihren historischen Langen
Marsch vollendete. 130 Meter hoch soll die Plastik werden –
was von keinem Lenin- oder Stalindenkmal, ja nicht einmal vom
nordkoreanischen Gigantomanen Kim Il-Sung erreicht wurde.
In dem Koloss von Yenan will Wang Wenhai keinen
Geringeren verewigen als den Vorsitzenden Mao. Und da an der
ästhetischen Kompromisslosigkeit, dem unbeirrbaren Formwillen
des Künstlers kein Zweifel ist, wird das Mao-Monument auch in
einer Größe von 26 Stockwerken von der bezwingenden
Schlichtheit sein, die schon Wangs vorherige Mao-Statuen
(bisher 1300) auszeichnete.
Noch harrt das Projekt der
Verwirklichung, da wird schon ein neuer Superlativ anvisiert:
Maos Langen Marsch in voller Länge für Rucksacktouristen
nachvollziehbar zu machen. Auch dieses Vorhaben bedarf des
Vorsitzenden: 25 000 Mao-Statuen sollen aufgestellt werden auf
dem 9660 Kilometer langen Weg, den die Rote Armee zurücklegte.
Bestechend verbindet sich realsozialistisches Größenmaß mit
dem Minimalismus der Postmoderne. Die Statuen sollen nur 40
Zentimeter hoch werden. Ein maoistischer Pilger, der den
Langen Marsch nacherleben will, muss monatelang eine Via
Crucis abschreiten, auf der er jede halbe Stunde von einem
Gartenzwerg mit Halbglatze begrüßt wird.
Mit der
Vergangenheitsbewältigung lässt China sich eben Zeit. Jahre
nach dem Tod des Großen Steuermannes (1976) sprach der greise
Zyniker Deng: „Der Vorsitzende Mao hatte zu 70 Prozent Recht“
– auf Chinesisch ein vernichtendes Urteil, das Dengs Jünger,
die das moderne China führen, verinnerlicht haben. In ihrer
Welt, die westliches Kapital und Know-how magisch anzieht,
sind Mao-Bilder ein peinlicher Tribut an die Partei. Die
kolorierten Bäckchen des alterslosen Massenmörders spiegeln
sich gespenstisch im amoklaufenden Glas der Skyline von
Schanghai.
Maos Visage erinnert an das wahre China,
das unsichtbar im Hintergrund atmet – das China der Bauern,
der elenden Dörfer, der Ausbeutung und Menschenschinderei.
Zwei Drittel der 1,3 Milliarden Chinesen stecken noch bis zum
Hals in Maos Reich, der Willkür der Kader ausgeliefert. Wo
Wang seinen 130 Meter hohen Mao hinstellen will, sind die
Kommunisten seit 1936 am Drücker. Schon damals wurden den
Bauern 35 Prozent der Ernte abgepresst, ein Sozialismus der
Arbeitslager, der Sondergerichte und Erschießungen, der
Gehirnwäsche und öffentlichen Selbstbezichtigung breitete sich
aus. |
|
|
|
INTERESSE AN EINER
PROBEAUSGABE DES GEDRUCKTEN CICERO? GRATIS!
hier
bestellen
|
|
|
Carlos Widmann geboren in Buenos
Aires, lebt als freier Journalist in Paris und in
Umbrien. |
|
|
|